*von Gabriele Gawlich*
In Vorbereitung auf die zweite Sitzung des Runden Tisches gegen sexuellen Kindesmissbrauch haben wir den folgenden Gemeinsamen Standpunkt an jeden einzelnen der dort vertretenen Gesprächsteinehmer gesandt.
Der Standpunkt ist in gemeinsamer Arbeit von MOGiS e.V. und trotz-allem e.V. entstanden und spiegelt wichtige Aspekte in der Prävention von sexualisierter Gewalt und sexuellem Missbrauch von Kindern wider.
Wir stellen dies Papier hier zur Diskussion. Wenn Ihr es unterstützen wollt, dann signalisiert dies bitte. Mitzeichner sind uns sehr willkommen.
Was Betroffene tatsächlich wollen und tatsächlich brauchen
Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist eine Straftat, die das weitere Leben der Betroffenen nachhaltig beeinträchtigen kann. Charakterisiert wird diese Straftat u. a. durch ein extremes Machtgefälle zwischen Opfer und Täter.
Diese Macht-Asymmetrie spiegelt auch der Runde Tisch gegen Kindesmissbrauch wider, an dem wir – die direkt Betroffenen – keine Vertretung haben.
Auch wenn wir anerkennen, dass die beteiligten Akteure ernsthaft um Aufarbeitung bemüht sind, fehlt doch die Betroffenensicht.
Darum fordern die Unterzeichner:
Die Ursachen für sexualisierte Gewalt sind multifaktoriell und multidimensional. In der Literatur geht man davon aus, dass ca. 75 % der Taten im sozialen Nahfeld des Kindes/Jugendlichen stattfinden (bei Jungen ca. 50 %).
Wir alle tragen die Verantwortung dafür, Kindern Schutz und Geborgenheit zu geben. Dazu ist es erforderlich, sowohl Familien als auch andere kindernahe Institutionen in die Lage zu versetzen, effektiven Kinderschutz zu leisten.
Darum fordern die Unterzeichner:
Der zunehmende Personalabbau bei den Ermittlungsbehörden unterstützt das Machtgefälle zuungunsten der Betroffenen. Die wenigen Ermittler sind überlastet und außerdem nur unzureichend für das Thema ausgebildet und ausgerüstet. Dies konterkariert eine effektive Ermittlungstätigkeit und Strafverfolgung. Die Aufklärungsraten gehen zurück, die Rechte und Interessen der Betroffenen sind immer schlechter durchsetzbar – die Täter bleiben unbehelligt.
Darum fordern die Unterzeichner:
Es muss in der Hand der Betroffenen bleiben, ob Anzeige erstattet wird oder nicht. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Beratungseinrichtungen können ohne die Zusicherung von Anonymität und der Zusage nicht anzuzeigen, ihre Arbeit nicht durchführen, weil es für die Betroffenen zentrale Voraussetzung ist, um überhaupt zu sprechen.
Außerdem sind Ergebnisse einer gerichtlichen Opferzeugenbefragung unter Strafandrohung zweifelhaft. Eine Anzeigepflicht hilft ausschließlich den Tätern.
Darum fordern die Unterzeichner:
Aus unserer Sicht erscheinen die Belange von Missbrauchsbetroffenen im deutschen Recht nicht ausreichend berücksichtigt. Auch zeigt die Praxis, dass es Juristen gibt, die die Rechte der Betroffenen nur mangelhaft kennen. Als Folge wird es den oft schwer traumatisierten Betroffenen zusätzlich aufgebürdet, ihre Verfahrensrechte selber durchzusetzen.
Darum fordern die Unterzeichner:
Durch die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz würden diese unabhängig von Familienrechten werden und in Zukunft stärker gewichtet werden. Wenn Kinder von Rechtsobjekten zu Rechtssubjekten würden und damit ihre eigene Würde anerkannt würde, könnten hierdurch auch der besondere Schutz und die besondere Förderung von Kindern besser verwirklicht werden.
Darum fordern die Unterzeichner:
Gegenwärtig ist die skandalöse Situation gegeben, dass, selbst wenn ein Verfahren mit einem Schuldspruch des Täters endet, die Betroffenen in den meisten Fällen keinen Schadenersatz mehr geltend machen können, da die zivilrechtlichen Ansprüche in der Regel drei Jahre nach dessen 21. Geburtstag verjähren gemäß §§ 199, 208 BGB.
Die Folgen dieser kurzen Verjährungsfrist sind, dass entweder den Betroffenen oder der Gesellschaft die Kosten für die Nachfolgeschäden der Tat aufgebürdet werden. Dies kann u. U. auch lebenslang nötig sein.
Darum fordern die Unterzeichner:
Angleichung der zivilrechtlichen Verjährungsfrist an die strafrechtliche Verjährungsfrist.
Gegenwärtig ruht die Verjährungsfrist bis zum 18. Lebensjahr des/der Betroffenen nach § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Die unter 21-Jährigen sind aber meist noch stark mit ihren Eltern verbunden, sowohl räumlich als auch emotional. Darum sind sie oft noch in physischer Nähe von Tätern aus dem familiären Umfeld. Erst wenn sie „auf eigenen Beinen stehen“ können, ist eine Anzeige für sie realistisch möglich.
Wir sind der Meinung, dass frühestens ab dem Alter von 21 Jahren der/die junge Erwachsene reif genug ist, die Konsequenzen einer Anzeige für sein/ihr weiteres Leben zu überblicken.
Darum fordern die Unterzeichner:
Die Vergangenheit zeigt, dass es, wenn Betroffene nur Ansprechpartner innerhalb des Umfeldes finden, in dem der Missbrauch passiert ist, oft zur Vertuschung des Missbrauchs kommt. Darum ist es von entscheidender Bedeutung, dass Betroffene auch außerhalb der Strukturen, in dem sie missbraucht wurden, vertrauenswürdige Ansprechpartner finden können.
Darum fordern die Unterzeichner:
Sowohl Beratungsstellen als auch Betroffenenverbände erfüllen einen wichtigen gesellschaftlichen Auftrag. Letztere sind für viele Betroffene oft erste Anlaufstelle oder auch Begleiter über lange Zeiträume, in der sie sich mit „Leidensgenossen“ austauschen können. Dabei spielen Online-Angebote eine immer größere Rolle, da sie Anonymität garantieren. Alle diese Angebote müssen finanziell sichergestellt werden.
Darum fordern die Unterzeichner:
Auch innerhalb der kindernahen Einrichtungen müssen Ansprechpartner existieren, die professionell helfen. Investitionen in Opferschutz sind Investitionen in die Zukunft.
Darum fordern die Unterzeichner:
Sexuelle Gewalt ist ein individuelles Geschehen: Jeder Betroffene entwickelt seine eigene Methode, um mit dem Trauma fertig zu werden. Darum kann adäquate Hilfe nur individuell geleistet werden. Ein kontingentierter Zugang zu Psychotherapie ist hier unangemessen.
Und auch männliche Betroffene brauchen angemessene Hilfen.
Darum fordern die Unterzeichner:
Auch in der Forschung zeigt sich die Asymmetrie von Täter und Opfer. In der Opferforschung besteht seit Jahren Stagnation – es existieren nur wenige und meistens privat initiierte Forschungsprojekte.
Darum fordern die Unterzeichner:
Sexuelle Gewalt an Kindern kann nicht nur die Betroffenen lebenslang beeinträchtigen, sondern ebenfalls die Angehörigen, die Eltern, die Geschwister, die Ehepartner usw.
Darum fordern die Unterzeichner:
Positionspapier mitgezeichnet von: