#Nacktscanner, oder auch: Kleider machen Leute
von Gabriele Gawlich
Eine der wichtigsten kulturell-ethischen Errungenschaften weltweit ist die Bekleidung. Sie ist durch Jahrhunderte hindurch sowohl Ausdruck der Persönlichkeit des Menschen als auch Spiegel der Zeit und der Gesellschaft, in der er lebt. http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=3068
Sogar sogenannte Naturvölker verfügen über eine wie auch immer geartete Kleidung, selbst wenn sie bei einigen nur aus einem Taillenband besteht.
Die Kulturgeschichte zeigt, dass nur unfreie Menschen sich ihre Kleidung nicht selbst wählen durften und dürfen, dass unfreie Menschen (wie z. B. Sklaven) gegen ihren Willen öffentlich nackt gemacht werden durften und dürfen. Dadurch wurde ihnen und der Umwelt deutlich gemacht, dass sie nicht über ein Selbstbestimmungsrecht, nicht über Würde verfügten. Ihnen wurde die Menschlichkeit aberkannt. Erst „Kleider machen Leute“ bzw. Menschen.
Seit Dezember 2009 wird nun in unserem Land der Ruf nach Nacktscannern laut, d. h. jeder Flugreisende soll sich zu seiner und der Sicherheit der Allgemeinheit einem Verfahren unterziehen, bei dem seine Kleidung durchleuchtet wird und er per bildgebendem Verfahren völlig nackt dargestellt wird.
Was ist im Dezember genau geschehen? Einem wahrscheinlich islamistisch motivierten Attentäter ist es gelungen, mit Sprengstoff in der Unterhose und am Flughafen völlig unkontrolliert an Bord eines Flugzeuges zu gelangen. Dort wurde er während des Versuchs den Sprengstoff zu zünden von einem beherzten Passagier gestoppt. Die Sprengstoff-Art, die er benutzen wollte, kann wahrscheinlich von den Nacktscannern nicht geortet werden (dieser Attentäter ist allerdings nicht gescannt worden). Trotzdem und trotz des bekannt gewordenen Versagens der Geheimdienste und der Sicherheitskräfte am Flughafen fordert die Sicherheitsindustrie nun das Einsetzen der Nacktscanner an allen Flughäfen und gegen jedermann (auch Kinder sollen nicht ausgeschlossen werden). Hierbei geht es um ein Millionengeschäft, mit dem sich Firmen wie Rapiscan, L3-Communications (beide USA), Smith Group, Qinetiq, Thruvision (alle drei Großbritannien) oder Brijot (Frankreich) ihre Zukunft sichern wollen.
http://www.focus.de/politik/deutschland/nacktscanner-mit-feingefuehl-gegen-spanner_aid_468561.html
Auch wenn Herr Bosbach hier meint, das Personal brauche eine ethische Schulung, ist es wohl eher nötig, dass die Entscheidungsträger unserer Republik eine entsprechende Schulung erhalten. Schon heute werden mehrere Forschungsprojekte in Bezug auf Nacktscanner durch die Bundesregierung gesponsert, obwohl sich einige Regierungsmitglieder offiziell dagegen ausgesprochen hatten. Das ohnehin nur fragile Vertrauen der Bürger in die Politiker wird damit nicht gefestigt.
Eine Grundlage des modernen Demokratie-Verständnisses besteht darin, dass die Souveränität, d. h. dass Recht der Herrschaft, beim Volk liegt. Dies findet auch im deutschen Grundgesetz Niederschlag:
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Artikel 20 (2) GG http://www.bundestag.de/.../grundgesetz/gg_02.html
Wenn also der Bürger mit der Begründung einer zu erwartenden höheren Sicherheit entblößt wird, haben Gewalt und Terrorismus ihre Ziele erreicht. Der Bürger wird wie ein Sklave oder Unfreier behandelt - der Souverän hat seine Freiheit eingebüßt. Die Demokratie hat aufgehört zu existieren.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Artikel 1 (1) GG http://www.bundestag.de/.../grundgesetz/gg_01.html
Nicht ohne Ursache beginnt unser Grundgesetz mit diesem Artikel. Nach einer Phase schwerster Menschenrechtsverletzungen in unserem Land, war es für Väter der Republik 1949 unabdingbar, die Würde des Menschen in den Mittelpunkt der jungen Republik zu stellen. Durch das zwangsweise Entblößen durch die Prozedur des Nacktscannens wird diese Würde in höchstem Maß verletzt. Es ist keine Frage von Prüderie oder Freizügigkeit, sondern das Recht jedes einzelnen Menschen auf Selbstbestimmung, das Recht darüber zu entscheiden, wann man sich nackt zeigt und wann nicht. Dieses Recht wird hier eingeschränkt. Der Kaiser wird gegen seinen Willen nackt gemacht.
Man kann die Würde des Einzelnen auch nicht dadurch schützen, dass man den Intimbereich technisch verfremdet („verpixelt“ o.ä.). Unter Intimbereich versteht jeder Mensch etwas anderes, auch von Volk zu Volk, von Religion zu Religion ist dies sehr unterschiedlich. Die Spanne geht von Burka bis FKK-Strand. Da die Würde ein ethisches Phänomen ist, lässt sie sich nicht technisch erfassen.
Wer sich darüber hinweg setzt handelt nicht anders als ein „Kinderschänder“, der sagt, nun hab dich mal nicht so, alle machen das so. Dies geschieht aber in manipulativer Absicht. Das Kind hat nicht genug Erfahrung, um dieser Manipulation zu begegnen. Wir, die mündigen Bürger, haben diese Erfahrung; und wir nutzen die Instrumente, die uns unser demokratisches System zur Verfügung stellt.