Sehr geehrte Damen und Herren
ich schreibe Ihnen als Vorsitzender von MOGiS e.V. - Eine Stimme für Betroffene, eines Vereins von Betroffenen sexuellen Missbrauchs, sexualisierter Gewalt, sexueller Ausbeutung und anderer Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern und Jugendlichen.
Leider musste ich Heute zur Kenntnis nehmen, dass die Beteuerung des Herrn Beck, sein Artikel wäre sinnentstellend veröffentlicht worden, nicht zutreffend sind.
Insbesondere lese ich dort solche haltlosen und täterfreundlichen Formulierungen wie:
"Eine Entkriminalisierung der Pädosexualität ist angesichts des jetzigen Zustandes ihrer globalen Kriminalisierung dringend erforderlich, nicht zuletzt weil sie im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen aufrechterhalten wird.
Vorgeschlagen wurde hier, als langfristiges Ziel, gemäß den Überlegungen im Sonderausschuß des Deutschen Bundestages, die "Schutzaltersgrenze" zu überdenken und eine Strafabsehensklausel einzuführen."
"Auch wenn das Strafrecht als Ultimaratio hier nicht das geeignete Mittel ist, muß zumindest eine Antwort auf den von den Feministinnen artikulierten Schutzbedarf des Kindes, insbesondere des Mädchens, gefunden werden. Bevor dies nicht möglich ist wird ein unaufrichtiges Kinderbild, das die uneingeschränkte Fähigkeit zu einvernehmlicher Sexualität (auch für das Kleinkind?) einschließt, einem mythischen Kinderbild gegenüberstehen, das von einer generellen Unfähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung und einer generellen Traumatisierung durch sexuelle Erlebnisse beim vorpubertären Menschen ausgeht."
"Auf beiden Seiten Irrationalität, auf beiden Seiten Schielen auf Populismus statt sachgerechter Auseinandersetzung. Welche Antworten am Ende stehen, eine völlige Entkriminalisierung der Pädosexualität mit anderen, nicht-strafrechtlichen Antworten auf die Frage des sexuellen Mißbrauchs von Kindern oder eine teilweise Entkriminalisierung, die ich oben beschrieben habe, und die in jedem Fall sachgerechter ist als die heutige rechtliche Situation, weiß ich nicht."
Eine Verbeugung vor dem Leid der Betroffenen wäre nun das mindesteste. Eine Bitte um Entschuldigung - nicht das, sich selbst bemitleidende, sich-selbst-Ent-schuld-igen, welches wir leider bisher mitansehen mussten - seitens aller damals Beteiliger wäre angemessen.
Ehrlicherweise glaube ich aber nicht, dass Herr Beck mit diesen Äußerungen zu halten sein wird.
Da mir das Dokument nur in Auszügen bekannt ist, bitte ich Sie um Zusendung eines elektronisch lesbaren Exemplars (kein Scan als PDF oder ähnliches) oder der medienbruchfreien Veröffentlichung des Textes (ebenso: kein Scan oder ähnliches) auf Ihrer Webseite.
Es grüßt Sie
(und bis auf Herrn Beck alle äußerst herzlich)
Christian Bahls;
MOGiS e.V. - Eine Stimme für Betroffene
Update: Uns wurde von einem Mitglied folgende elektronische Volltext-Fassung des Pamphlets des Herrn Beck zugestellt (Danke!)
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erscheint in Hohmann: Pädophilie
Reformistischer Aufbruch und Abschied von einer "radikalen"
Forderung - Plädoyer für eine realistische Neuorientierung der
Sexual - (Strafrechts-) Politik
im Hinblick auf eine Entkriminalisierung der Pädosexualität
Volker Beck, Schwulenreferent DIE GRÜNEN IM BUNDESTAG
G.01. FU-Berlin 97
Dieser Artikel behandelt die Frage des gesellschaftlichen Umgangs
mit Pädosexualität/philie aus dem Blickwinkel, des Sexual-, ge-
nauer des Schwulenpolitikers, der sich zudem noch bei der Durch-
setzung seiner Politik der Mittel der politischen Parteien und
Parlamentsfraktionen bedient. Diese Sicht des Sexualpolitikers
ist eine spezifisch andere als die des/r Sexualwissenschaft-
lers/in oder die des/r Strafrechtlers/in.
Der Sexualwissenschaft geht es um einen menschengerechten Begriff
von Sexualität als Voraussetzung für einen menschlicheren Umgang
der Gesellschaft und des einzelnen mit Sexualität. Fortschritt-
liche SexualstrafrechtlerInneN versuchen das Problem der
"sexuellen Selbstbestimmung" mit ihrem juristischen Instrumen-
tarium in den Griff zu bekommen. Hierbei spielen Fragen des
Rechtsgüterschutzes und einer möglichst nachprüfbaren Tatbe-
standsbestimmung (was hat der/die Täterin getan? z.B. sexuelle
Handlung, damit gefragt werden kann: Hat er/sie es getan?) Eine
hervorragende Rolle. Die Sexualwissenschaft kritisiert die Reduk-
tion des strafrechtlichen Begriffes von Sexualität auf sexuelle
Handlungen, unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Vorkommen und
den jeweiligen Beziehungen.
Aufgabe der Sexualpolitik ist es, aus dem Diskurs zwischen
Sexual - und RechtswissenschaftlerInnen die politischen
Konsequenzen zu ziehen, und programmatische Forderungen und
(tages-) politische Initiativen unter Berücksichtigung des
politischen Klimas und der Machtverhältnisse abzuleiten. Die
zunehmenden Verständnisschwierigkeiten zwischen den beiden
Disziplinen Sexualstrafrecht und Sexualwissenschaft finden ihre
Entsprechung in einer Agonie der Schwulenbewegung und einem Jahre
währenden, immer gespenstischer werdenden Kampf innerhalb
derselben.
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Ein Gespenst geht um in der Schwulenbewegung...
Ein Gespenst geht um in der Schwulenbewegung: Die Forderung nach
der ersatzlosen Streichung des Sexualstrafrechtes, dem 13.
Abschnitt des Strafgesetzbuches! Seit Jahren auf allen Vor-
bereitungstreffen von Gay-Pride-Demos, auf Gründungs- und Mit-
gliederversammlungen des Bundesverbandes Homosexualität e.V.
(BVH), auf schwulen Parteigremien der GRÜNEN, ...immer wieder heiß
umkämpft, immer wieder mit Formelkompromissen der einen oder
anderen Seite ausbalanciert - die Frage wieviel sofort, wieviel
ersatzlos und wieviel überhaupt gestrichen werden soll. Eine
Debatte, die zwar an Vehemenz in letzter Zeit abgenommen, von
ihrer identitätsstiftenden Kraft für die vermeindlichen
Vorkämpfer der sexuellen Emanzipation aber noch nichts verloren
hat.
Das Irritierende an dieser Debatte ist nicht, wie die Befürworter
einer Streichung meinen, die systemüberwindende oder gar
-sprengende Kraft einer Abschaffung eines spezifischen
Sexualstrafrechtes, sondern die zunehmende gesellschaftliche
Irrelevanz dieser Diskussion und die daraus folgende Randstellung
der Schwulenbewegung innerhalb der neuen sozialen Bewegungen.
Diese Debatte und dieser Streit wurden über Jahre hinweg mit
einer solchen Vehemenz geführt, daß viele offenbar begannen,
schwulenpolitische Zirkel und deren programmatische Beschlüsse
für den Nabel der Welt zu halten. Die identitätsstiftende Kraft
dieser Debatte ersparte es lange Zeit denn auch den meisten Be-
wegungsfunktionären auf Ereignisse der Tagespolitik gezielt und
qualifiziert zu reagieren oder gar Politik und Debatten mitbe-
stimmen zu müssen.
Diese Beschäftigung der Schwulenbewegung mit sich selbst ließ
ihre politischen Äußerungen in der BRD über den Stand program-
matischer Leitsätze (wie "gegen Diskriminierung sexueller Minder-
heiten!") nie wesentlich hinauskommen. Eine inhaltliche Umsetzung
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der schwulenpolitischen Programmatik blieb die Schwulenpolitik
schuldig, eine Ausweitung der gesellschaftlichen Debatte über
Homo-/Sexualität unterblieb, eine Bündnispolitik wurde nahezu
unmöglich. Von einigen sehr wenigen Einzelkämpfern abgesehen
blieb bis zum heutigen Tage die inhaltliche Arbeit unterhalb der
programmatischen Ebene auf der Strecke: Themenkomplexe wie
Arbeitswelt/DGB; Asyl, Menschenrechte/amnesty international;
Mietrecht, Sozialwohnungen/Mieterverbände; Lebensformen; Daten-
schutz, Polizei, Kriminalistik; Männergewalt, Anti-Schwule
Gewalt/Männerbewegung blieben bis heute liegen; aber selbst die
Diskussion um die Entkriminalisierung von Sexual-"Delikten" wurde
von der Schwulenbewegung nicht detailliert und inhaltlich auf
breiter Basis geführt. Ein Großteil der Debatte wurde mit dem
Slogan von der Streichung des Sexualstrafrechtes bestritten; und
nicht selten wurde hierbei allein darauf verwiesen, daß Sexuali-
tät nicht gesondert von anderen vergleichbaren Verbrechen in
einem eigenen Abschnitt im Strafrecht behandelt werden dürfe (es
verblieben dann nur folgende positive schützende Teile des
Sexualstrafrechtes: Vergewaltigung/sexuelle Nötigung, Menschen-
handel, ausbeutende Zuhälterei). Ebenso blieb von seiten der
Schwulenbewegung eine Diskussion mit der Frauenbewegung oder ein
solidarisches Bündnis mit den Prostituierten Selbsthilfegruppen
am Punkt Sexualstrafrecht aus.
Die politische Wende in Bonn und das hysterische AIDS-politische
Klima in der Bundesrepublik machen eine Neuorientierung der
Schwulenbewegung zu einer für die sexuelle Emanzipation nicht nur
längst überfälligen sondern überlebensnotwendigen politischen
Aufgabe, denn auch die dürftigen Liberalisierungen vom Anfang der
70er sind reversibel!
Abschied
Die Frage der Neuorientierung der Schwulenbewegung ist nicht
"Schwulen-AIDS oder Pädo-Knast", wie Hans Nieters (Rosa Flieder
Nr. 53) schreibt. Entscheidend ist hierbei vielmehr die Frage,
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wie wir es schaffen, mit der Formulierung einer sachgerechten,
aktuellen und bündnisfähigen Politik die Schwulenbewegung -
angesichts der Neuaufrüstung der Rechten - zu einer relevanten
politischen Kraft zu machen.
Der längst überfällige Abschied von der Forderung nach Streichung
des Sexualstrafrechtes, (zumindest so, wie sie bisher vorgetragen
wurde) ist hier genauso wichtig wie eine detaillierte Analyse der
konservativen AIDS-Politiken von Süssmuth bis Gauweiler.
Strategisch, politisch und im sexualaufklärerischen Sinne war
die Streichungsforderung schon lange. Sie ließ folgende
inhaltliche Probleme außer acht oder vermochte sie zumindest
nicht so befriedigend zu lösen, |daß ein Festhalten daran heute
noch Sinn machen würde:
* Die Entkriminalisierung des Inzestes wird von dieser Forde-
rung nicht erfaßt, da der Inzestparagraph (§ 173 StGB) seit
einiger Zeit dem 12. Abschnitt des Strafgesetzbuches zuge-
schlagen wurde, obwohl er sexualitätsbezogene Tatbestände
betrifft.
* Die Frage der Paragraphen, die eine positive Schutzfunktion
zumindest ansatzweise besitzen, wie §§ 177, 178 StGB Verge-
waltigung, sexuelle Nötigung (außerhalb der Ehe), 181 Men-
schenhandel wurde bisher nicht gelöst. Der Vorschlag, eine
entsprechende Erweiterung des Nötigungsparagraphen 240 StGB (so im
Lüdenscheider Papier "Sexualität und Herrschaft" der gleich-
namigen AG der GRÜNEN Nordrhein-Westfalen) vorzunehmen
nehmen, kollidiert mit der Forderung der Links/GRÜN-Alter-
nativen Politik, diesen Paragraphen entweder ganz zu
streichen oder zumindest erheblich einzugrenzen, da er
regelmäßig gegen die politische Opposition (z.B. Blockade
in Mutlangen) zur Wirkung kommt.
* Die Problematisierung der Existenz eines eigenen
sexualstrafrechtlichen Abschnittes des Strafgesetzbuches
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durch die Streichungsforderung hatte für die linke und die
Schwulenbewegung möglicherweise früher eine enttabuisierende
Funktion, deren Wirkung aber spätestens nach dem "Kindersex"
-Skandal der GRÜNEN Nordrhein-Westfalen völlig verpufft
ist. Die Behauptung, Straftaten im sexuellen Bereich
ließen sich ohne weiteres mit anderen Straftaten, wie
der Nötigung, vergleichen setzt zudem die Bedeutung der
Sexualität für das Subjekt zu niedrig an. Für die Verge-
waltigung gibt es keinen vergleichbaren Tatbestand! Die
Frauenbewegung fordert daher auch eine umfangreiche Aus-
dehnung dieses Tatbestandes, und die Debatte der GRÜNEN
ging 1986 bis '88 vor allem darum, ob die Mindeststrafe bei
Vergewaltigung ein oder zwei Jahre sein soll (das letztere
hieße ohne die Möglichkeit, eine Strafe zur Bewährung aus-
zusetzen).
Im übrigen widerspricht dieses Herunterspielen der
Sexualität den apologetischen Darstellungen mancher linken
wie rechten Pädos: Der pädagogische Eros, Initiation, "Die
Kinder in den Armen der Pädos sind die Revolutionäre von
morgen!", ebenso wie den politischen Erwartungen der
Streichungsprotagonisten, wenn sie vom Kampf um die
Streichung des Sexualstrafrechtes und einer Be-
freiung der Sexualität eine Überwindung von Patriarchat und
Kapitalismus erhoffen.
Die Forderung nach Streichung des Sexualstrafrechts, die von der
Schwulenbewegung vor allem im Hinblick auf eine Entkriminali-
sierung der Päderasten respektive der Pädophilen formuliert
wurde, steht zu dieser Entwicklung (und der Diskussion der
Frauenbewegung über den sexuellen Mißbrauch von Kindern,
insbesondere von Mädchen) in völligem Widerspruch. Sie wurde zu
einer Zeit erhoben, wo es in der Linken keine vergleichbare
Debatte hierüber gab. Wenn das zentrale Anliegen bei dieser De-
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batte die Entkriminalisierung des Sexualstrafrechtes am Punkte
Pädosexualität (§ 176 StGB) ist, dann muß man auch den Mut haben,
dieses so zu formulieren, und an diesem Punkt die Debatte suchen.
Neues Denken für die Schwulenbewegung
Will die Schwulenbewegung ihrer historischen Aufgabe gerecht
werden, die Angriffe gegen einen Prozeß der sexuellen Emanzi-
pation zurückzuweisen, dann muß sie eine neue politische Quali-
tät erreichen und ihre Arbeitsfelder Sexualstrafrecht, Lebens-
formen, Antidiskriminierungspolitik und AIDS-Politik in den Griff
bekommen. Bei diesem Themen ist eine reformistische Formulierung
der Politik gefordert, die auch für Teilziele politischen Druck
zu entfalten bereit ist und die das sexualpolitische Klima über
eine breite Diskussion verändert. Eine solche Diskussion kann
aber nur erreicht werden, wenn man zum einen Bündnisse mit
anderen Bewegungen sucht, und zum anderen, die programmatischen
Forderungen in umsetzbaren Forderungskatalogen konkretisiert und
sich der inhaltlichen Kleinarbeit am Diskriminierungsalltag
widmet.
Dies gilt nicht zuletzt für eine neue Sexualstrafrechtspolitik
der Schwulenbewegung. Oben wurde gezeigt, daß die antiquierte
Forderung nach der Streichung des Sexualstrafrechts inhaltlich
nicht stimmig ist. Diese Forderung entband durch ihre Undurch-
setzbarkeit von einer detaillierten Diskussion über die Proble-
matik einzelner Paragraphen des Strafgesetzbuches. Will man aber
sexualpolitisch eine Verbesserung erreichen und nicht nur die
identitätsstiftende Kraft einer unausgegorenen, scheinradikalen
Forderung genießen, wird man die Diskussion am Objekt, an
einzelnen Tatbeständen und an den daran geknüpften Phantasien
führen müssen. Hierbei müssen die Ängste der Bevölkerung
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ernstgenommen werden - nicht indem, wie es bei den GRÜNEN immer
üblicher wird, man (Wahl)-populistisch dem "gesunden Volks-
empfinden" nachgibt bzw. es sich zu eigen macht, sondern indem
man Antworten auf die gestellten Fragen gibt.
Möglichkeiten und Strategien einer neuen Sexual- (Strafrechts-)
Politik-auch für den Bereich der Pädosexualität
Der Sonderausschuß des Deutschen Bundestages hatte 1973 bei der
Vorbereitung des 4. Strafrechtsänderungsgesetzes versucht, seiner
Arbeit eine rationale Erörterung der Problematik zugrunde zu
legen. Angesichts der Bedenken der geladenen Experten hinsicht-
lich der Behauptung, gewaltlose pädosexuelle Erlebnisse störten
die sexuelle Entwicklung eines Kindes, verpflichtete sich der
Sonderausschuß mit seiner Definition des zu schützenden
Rechtsgutes als der "ungestörten sexuellen Entwicklung des
Kindes" immerhin einer sachlichen Argumentation. Allerdings hat
der Sonderausschuß sich selbst bei seinen Vorschlägen nicht daran
gehalten und sich wieder besseres Sachverständigenwissen für eine
generelle Strafbarkeit der Sexualität mit Kindern entschieden.
Obwohl dieser Ansatz einer rationalen Auseinandersetzung mit dem
Problem des § 176 nicht gleich zum Erfolg führte, scheint er mir
der einzige Ausgangspunkt für eine tatsächliche Verbesserung der
rechtlichen Situation der Prädophilen.
Jäger hat recht, wenn er meint, daß es am aussichtsreichsten ist,
die politische Diskussion zu führen, indem man die Reform an dem
mißt, was die Reformer sich vorgenommen hatten. Hierzu formu-
lierte er sieben programmatische Thesen, von denen ich vor allem
die ersten sechs maßgeblich für eine reformistische Sexualstraf-
rechtspolitik halte:
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"1. Das Strafrecht dient allein dem Rechtsgüterschutz. Gesetz-
geber ist daher nur legitimiert, sozial gefährliche Ver-
haltensweisen unter Strafe zu stellen.
2. Die Schädlichkeit oder Gefährlichkeit des zu beurteilenden
Verhaltens bedarf des empirischen Nachweises...
3. Selbst wenn der Nachweis der Gefährlichkeit gelingt, darf
eine Strafvorschrift nur geschaffen werden, wenn Unrechts-
gehalt und Schädlichkeit so gravierend sind, daß die Straf-
barkeit nicht unverhältnismäßig, also als Überreaktion er-
scheint.
4. Nur tatbestandstypische Gefahren sind zu berücksichtigen.
Strafvorschriften, die gefährliche und ungefährliche Ver-
haltensweisen gleichermaßen umfassen, sind nicht zu recht-
fertigen...
5. Zu den gesicherten Auffassungen heutiger Kriminalpolitik
gehört auch, daß das Strafrecht nur die ultima ratio im
Instrumentarium des Gesetzgebers ist, die Strafbarkeit also
nur das äußerste Mittel der Sozialpolitik sein darf. Bevor
sich der Gesetzgeber zur Anwendung dieses letzten und
äußersten Mittels entschließt, hat er zu prüfen, ob nicht
andere, außerstrafrechtliche Mittel zum Schutz der be-
troffenen Rechtsgüter ausreichen.
6. Eine selbstverständliche Konsequenz des Schutzgedankens ist,
daß die Gesetzgebung durch das Strafrecht selbstbewirkte
Sekundärschäden in ihr Kalkül einbeziehen, etwaige Kontra-
indikationen also berücksichtigen muß..."
(Herbert Jäger: Möglichkeiten einer weiteren Reform des
Sexualstrafrechts; im: Dannecker/Sigusch: Sexualtheorie und
Sexualpolitik. Stuttgart, 1984. 68 f.)
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Läßt man sich aber auf eine Strafrechtspolitik unter diesen
Leitsätzen ein, ist es die Aufgabe der sexual-emanzipatorischen
Bewegungen nachzuweisen, daß es bei gewaltlosen sexuellen
Kontakten zwischen Personen über 18 und unter 14 Jahren,
sogenannte Erwachsene mit Kindern, zu keinen Schädigungen der
sexuellen Entwicklung des Kindes kommt oder kommen muß, bzw. das
Strafrecht kein geeignetes Mittel ist, um einen eventuellen
Schaden von dem Kind abzuwehren. Hierbei wird die Diskussion
sicher diffiziler als bei der eher rethorisch zu nennenden
globalen Ablehnung des Sexualstrafrechtes. Auf Bedenken und
Ängste müssen qualifizierte und auch empirisch-saubere Antworten
gefunden werden, wenn man eine Reform mit dem Willen einer
tatsächlichen Veränderung betreibt. Dies ist eine neue
Herausforderung an die Pädophilen- und auch an die Schwulen-
bewegung: Mit einer oberflächlichen Argumentation wie dem
angeblich essentialistisch beim Kind vorhandenen Bedürfnis nach
Sexualität im Sinne des postpubertären Menschens wird man nicht
reüssieren. "Der Pädosexuelle schreibt dem Kind einen Status zu,
den es nicht haben kann, nämlich ein integrales, gleichwertiges
Objekt für die eigene sexuelle Identität zu sein." (Lorenz
Böllinger: Sexualität und Herrschaft; Überlegungen zum
"Kindersex-Skandal" der GRÜNEN/Nordrhein-Westfalen. In: Kritische
Justiz H 1, 1986; 2.2.) Auch Dannecker hat jüngst auf das
problematische Gefälle zwischen Erwachsenen und Kindern in der
pädosexuellen Beziehung hingewiesen (Martin Dannecker: Zur
strafrechtlichen Behandlung der Pädosexualität; in: ders., Das
Drama der Sexualität. 1987, 82 ff.).
Man wird nicht umhin können, sich bei dieser Diskussion mit den
Argumenten der Frauenbewegung auseinanderzusetzen, und die
Perspektive der Feministinnen, die oft auch durch frühe sexuelle
Kontakte mit Vätern und Onkeln traumatisch gefärbt ist, ernstzu-
nehmen.
Als Etappenziel kann hier nur eine Versachlichung der Diskussion
um das Problem der Pädosexualität vorgeschlagen werden. Als
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strafrechtliche Perspektive wäre z.B. eine Novellierung ins Auge
zu fassen, die einerseits das jetzige "Schutzalter" von 14 Jahren
zur Disposition stellt (in den Niederlanden gab es solche
Initiativen mit erheblichem Erfolg!) oder auch eine Strafab-
sehensklausel. Eine Diskussion um eine solche Reform des § 176
würde sicherlich einem entkrampfteren und weniger angstbesetzten
Klima den Weg bahnen. Eine Strafabsehensklausel, wäre sie
durchgesetzt, würde eine tatsächliche Auseinandersetzung vor
Gericht, und, wenn die Bewegung stark genug ist, in der Öffent-
lichkeit um die Frage einer eventuellen Schädigung eines Kindes
durch sexuelle Kontakte mit einem Erwachsenen ermöglichen. Wer
jetzt einwendet, daß man die Gerichte kenne und dort der
Fortschritt nicht gerade Urständ feiert, hat sicher recht, aber
die Alternative sieht nicht besser aus: Ein Vetrauen darauf,
durch noch so starken öffentlichen Druck eine Mehrheit für eine
Streichung des Sexualstrafrechtes im Parlament zu erhalten
scheint reichlich naiv und die Revolution, na ja...
Immerhin - und das macht langfristig Hoffnung auf ein Reförmchen,
auch gerade beim § 176 StGB, hat der Sonderausschuß des Deutschen
Bundestages damals gerade für diesen Paragraphen eine erneute
parlamentarische Diskussion für den Fall in Aussicht gestellt,
daß sich die jetzige Definition des zu schützenden Rechtsgutes
sexualwissenschaftlich nicht mehr halten lasse. Wer für die
Lebens- und Rechtssituation der pädophilen Menschen etwas
erreichen will, muß diese Diskussion mit Aufklärung und Ent-
mythologisierung vorbereiten, eine bloße Ideologisierung der
Gegenposition zum Sexualstrafrecht kann hierin ihres realpoli-
tischen Mißerfolges gewiß sein.
Bevor aber dieser Kampf nur halbwegs mit Aussicht auf Erfolg auf
nationaler politischer Ebene geführt werden kann muß der soli-
darische Dialog mit der Frauenbewegung gesucht werden, sollte
sich die Schwulenbewegung auch um andere Fragen der Selbstbe-
stimmung, wie der des § 218 StGB kümmern (man erinnere sich an
die gemeinsame Dienststelle zur Bekämpfung von Homosexualität und
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Abtreibung im Reichsicherheitshauptamt der Nazis!), oder offen
und solidarisch den Kampf der Prostituierten um ihre Rechte
unterstützen (das Internationale Komitee für die Rechte der
Prostituierten forderte im Februar 1985 in seiner Weltcharta
unter anderem Entkriminalisierung und Professionalisierung
der Prostitution, aber auch die Aufrechterhaltung von Straf-
gesetzen gegen Vergewaltigung und sexuellen Mißbrauch von
Kindern.)
Nicht zuletzt werden die Chancen einer solchen Initiative und die
Entkriminalisierung und unproblematischer sexueller Kontakte
zwischen Erwachsenen und Kindern überhaupt von dem sexualpoli-
tischen Klima einer Gesellschaft abhängen. Ein Fortbestehen der
ignoranten Haltung mancher Bewegungsfunktionäre zum Kampf um die
rechtliche Gleichstellung der Schwulen und Lesben (z.B. bei der
Auseinandersetzung um den Anti-Schwulen-Sonderparagraphen 175),
sei es, weil sie sich in traditioneller Manier um das Banner der
Sexualstrafrechtsstreicher schaaren oder weil sie wegen ihres
psychosozialen Engagements im Zusammenhang mit AIDS keine Zeit
für Politik haben bzw. haben wollen, wird sicher keinen Beitrag
zu einem liberaleren Klima leisten. Klar ist auch: Solange es
noch einen § 175 gibt, wird man sich bei einer Liberalisierung
des § 176 die Zähne ausbeißen. Aufklärung ist ein Prozeß und kein
Handstreich! Im übrigen sind die Erfolge der sexuellen
Emanzipation in Zeiten ökonomischer Krisen durchaus reversibel, zumal
wenn die Bewegung nachläßt. Als Beispiele seien hier nur das neue
Beratungsgesetz zum § 218 und die politischen Implikationen der
Treuepropaganda von Süssmuth und des Gauweilerschen AIDS-Staates
genannt.
Die GRÜNEN, Populismus oder Fortschritt?
Die Auseinandersetzung um den politischen Umgang mit
Sexualstrafrecht und Pädosexuellen hat die schwulenpolitischen
Gremien der Partei über Jahre beschäftigt; Überflüssigerweise wie
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ich behaupte, denn bei diesem Thema gibt es und gab es nie eine
Perspektive, das GRÜNE Parteiempfinden auf eine Akzeptanz
gewaltlsoer Sexualität mit Kindern einzuschwören.
Die GRÜNEN sind der erste Versuch linker Kräfte in der
Bundesrepublik im Bündnis mit aufgescheuchten KleinbürgerInneN,
TierschützerInneN, AnthroposophInnEn, ChristInnEn (der AUD und
GAZ) und Dissidenten aus dem liberaldemokratischen Spektrum der
FDP und der SPD-Linken den Sprung ins Parlament zu schaffen. Die
5 %-Hürde und die Heterogenität ihrer Mitgliedschaft macht die
Grüne Partei außer bei identitätsstiftenden und deshalb
populären, radikalen Forderungen (Atom, Pazifismus -
Antimilitarismus) sehr anfällig für alles populistische und
ängstlich bei Kampagnen der Presse und des politischen Gegners
gegen bestimmte programmatische Aussagen. Radikalität wird nur
gewagt, wo man als Gegengewicht mit apokalyptischen Bedrohungen
wie der Zerstörung der Lebensgrundlagen, dem Super-GAU oder dem
atomaren Holocaust aufwarten kann.
Seit dem Lüdenscheider Papier (siehe hierzu: Dokumentation:
"Sexualität und Herrschaft", Hrsg. v. DIE GRÜNEN Nordrhein-
Westfalen. Düsseldorf, o.J. (1985) und Lorenz Böllinger, a.a.O.)
führen DIE GRÜNEN flügelübergreifend einen ängstlichen
Abwehrkrieg gegen die Behauptung der Union, sie wollten
"Kinderschänder" frei herumlaufen lassen. Dieser Abwehrkampf
beschränkt sich immer nur auf die Richtigstellung, daß DIE GRÜNEN
tatsächlich so eine Forderung, wie die der Streichung des § 176,
nie gestellt haben. Eine Problematisierung der in der
Diffamierung transportierten Ideologie unterbleibt regelmäßig.
Es ist richtig, auch das Lüdenscheider Papier, das eine
Streichung des Sexualstrafrechtes forderte, hatte nie mehr als
den Status eines Arbeitspapiers. Die von der Union unterstellte
Forderung nach Entkriminalisierung der Pädosexualität wurde von
der Partei nicht erhoben. Was allerdings manchmal traurig stimmt
ist die kritiklose Übernahme der kollektiven Vorurteile dieser
Gesellschaft.
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Während DIE GRÜNEN sich - eher lustlos und manchmal ängstlich -
die Forderung nach Gleichberechtigung der Schwulen und Lesben auf
breiter Ebene zu eigen gemacht haben, ist von ihnen keine
Initiative im Bereich der Pädosexualität zu erwarten. Die Arbeit
der GRÜNEN in diesem Bereich setzt sich ausschließlich mit der
Thematik des sexuellen Mißbrauchs von Kindern auseinander. Das
Lüdenscheider Debakel und der anschließende Nichteinzug des
strukturschwachen GRÜNEN Landesverbandes in den Landtag von
Nordrhein-Westfalen (1985) haben eine nüchterne Betrachtung der
Pädosexualität auf Jahre hin unmöglich gemacht. "Lüdenscheider
Zustände" ist das Mahnwort zur Disziplin auf manchem GRÜNEN
Parteitag.
Den GRÜNEN wird man nur durch eine breite Bewegung von außen
Dampf machen können. Von einem Beschluß von oben ist bei einem
Thema wie Pädophilie jedoch auch nichts zu halten.
Ein subjektives Resümee
Den obigen Ausführungen lagen folgende Thesen zugrunde: Mit der
Forderung nach Streichung des Sexualstrafrechtes ist realpoli-
tisch keine Verbesserung, d.h. Liberalisierung, der Sexualpolitik
zu erreichen. In AIDS-Zeiten muß das gewonnene Terrain unter Ein-
beziehung liberal-demokratischer Argumentationsmuster (Antidis-
kriminierung, Gleichstellung, Menschenrechte) gehalten bzw.
möglichst sogar ausgebaut werden. Hierbei wird inhaltliche
Detailarbeit und eine Professionalisierung auch der nicht-AIDS-
bezogenen Schwulen-Sozialarbeit notwendig sein (vgl. z.B. Schorer
Foundation in den Niederlanden).
Eine Entkriminalisierung der Pädosexualität ist angesichts des
jetzigen Zustandes ihrer globalen Kriminalisierung dringend
erforderlich, nicht zuletzt weil sie im Widerspruch zu
rechtsstaatlichen Grundsätzen aufrechterhalten wird.
Vorgeschlagen wurde hier als langfristiges Ziel, gemäß den
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Überlegungen im Sonderausschuß des Deutschen Bundestages, die
"Schutz"-altersgrenze zu überdenken und eine Strafabsehensklausel
einzuführen.
Verschiedentlich habe ich darauf hingewiesen, wie notwendig es
wäre über diese Frage einen Dialog mit der Frauenbewegung zu
suchen. Mir ist es nicht möglich, die Schilderung von Frauen über
einen traumatisch erlebten sexuellen Kontakt mit einem
Erwachsenen (meist innerhalb der Familie) einfach vom Tisch zu
wischen. Diese Problematik muß von der sexuellen Emanzipationsbe-
wegung ernster genommen werden als bisher. Auch wenn das Straf-
recht als ultima ratio hier nicht das geeignete Mittel ist, muß
zumindest eine Antwort auf den von den Feministinnen
artikulierten Schutzbedarf des Kindes, insbesondere des Mädchens,
gefunden werden. Bevor dies nicht möglich ist wird ein
unaufrichtiges Kinderbild, das die uneingeschränkte Fähigkeit zu
einvernehmlicher Sexualität (auch für das Kleinkind?)
einschließt, einem mythischen Kinderbild gegenüberstehen, das von
einer generellen Unfähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung und
einer generellen Traumatisierung durch sexuelle Erlebnisse beim
vorpubertären Menschen ausgeht. Auf beiden Seiten Irrationalität,
auf beiden Seiten Schielen auf Populismus statt sachgerechter
Auseinandersetzung.
Welche Antworten am Ende stehen, eine völlige Entkriminalisierung
der Pädosexualität mit anderen, nicht-strafrechtlichen Antworten
auf die Frage des sexuellen Mißbrauchs von Kindern oder eine
teilweise Entkriminalisierung, die ich oben beschrieben habe, und
die in jedem Fall sachgerechter ist als die heutige rechtliche
Situation, weiß ich nicht. Aber die neueren Äußerungen von
Dannecker und Böllinger zeigen, daß die Problematik nicht so
einfach ist wie uns manche vermeindlichen Vorreiter der
pädophilen Emanzipation glauben machen wollten.
Ein Wort zum Schluß: Die Zeichen stehen unter der Kohl-Regierung
und der sich verschärfenden sozialen Situation nicht auf
(der Rest fehlt leider, das Fehlen der Seite 15 mag man angesichts der anderen Vertuschungen des Herrn Beck nur mit guten Willen als Zufall bezeichnen)