Von Victor Schiering und Michael Butscher
Bereits bevor der Film "Tahsins Beschneidungsfest" im KiKA lief, haben Ärzteverbände sowie Kinder- und Menschenrechtsorganisationen, uns eingeschlossen, den Film kritisiert. Dabei wollten wir es natürlich nicht belassen, wir möchten auch sehen, ob der Beitrag wirklich so schlimm war wie befürchtet. Unsere Ansicht: Ja!
Wer eine Reportage macht, muss sich natürlich immer fragen, wie weit er die beschriebenen Geschehnisse einordnet und bewertet. Ist der Beitrag an Erwachsene gerichtet, so ist es durchaus in Ordnung, diese Einordnung weitestgehend auszulassen. Man kann erwarten, dass der mündige Bürger selbst in der Lage ist, die Schilderungen zu bewerten.
Handelt es sich beim Zielpublikum aber speziell um Kinder, so wäre mehr Sorgfalt erforderlich.
Natürlich soll und will man auch Kindern ihre Meinung nicht vorschreiben. Aber wenn die gezeigten Personen durchweg eine bestimmte einseitige Haltung einnehmen (bedingt durch ihren kulturellen oder religiösen Hintergrund), dann wäre es wichtig zu erwähnen, dass es bei einem kontroversen Thema auch andere Stimmen gibt.
Im Rahmen der Serie "Schau in meine Welt" wurde am Sonntag im KiKA die Reportage "Tahsins Beschneidungsfest" gezeigt. Sie handelt von der Beschneidung des elfjährigen muslimischen Jungen Tahsin in der Türkei, sowie über das anschließende Fest.
Von Sorgfalt oder einer Anregung zum eigenen Nachdenken kann hier allerdings keine Rede sein, stattdessen kommt es bereits am Anfang zu einem Fehler:
Sprecher:
Die Beschneidung. Das ist ein uraltes religiöses Ritual, das auch für Muslime selbstverständlich ist.
Ansonsten kam vom Sprecher, also den Autoren des Films, nichts wirklich Falsches, aber auch nichts Hilfreiches.
Stattdessen blieb vieles einfach unkommentiert stehen:
Tahsin:
Ich finde es blöd, dass meine Beschneidung jetzt erst stattfindet. Eigentlich sagen ja alle, dass man als Dreijähriger schon beschnitten werden sollte. Man fühlt sich echt nicht gut, weil alle anderen einen ständig hänseln.
Ihr braucht keine Angst zu haben, alles wird in 5 Minuten vorbei sein, es werden Gäste kommen, es wird Essen geben, Süßigkeiten werden verteilt, Musiker werden spielen. Und es wird nicht geweint, in Ordnung? Hast Du Angst?
Sprecher:
Die Beschneider sind da, zwei Männer aus der Gemeinde, die dafür ausgebildet wurden und seit Jahren nichts anderes machen. Für ihre kleine Operation benutzen sie einfach den Wohnzimmertisch.
[...]
Beschneider:
Wenn das hier [zeigt es an seinem Daumen] der Penis des Jungen ist, dann gibt es hier vorne so eine Art Köpfchen. Über diesem Köpfchen befindet sich Haut, die schneiden wir weg, das war's.
[...]
Sprecher:
Am Ende [nach der Beschneidung] bekommt er [Tahsin] sogar ein Pflaster in den Farben seines Lieblingsfußballvereins Galatasaray Istanbul.
Vater:
Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass es nicht jedem vergönnt ist, solche Vaterfreuden zu erleben. Da ist was dran. Ich bin jetzt stolz und richtig glücklich.
[...]
Mutter:
Heute [Tag der Beschneidungsfeier] ist wirklich ein sehr wichtiger Tag für die ganze Familie.
Tahsin:
Alle sagen, dass ich jetzt ein Mann geworden bin, das macht mich natürlich glücklich. Ich war schon ziemlich traurig darüber, dass meine Freunde alle vor mir beschnitten worden sind. Aber jetzt bin ich auch beschnitten und mir geht es viel besser, jetzt habe ich einen Schritt in Richtung Männlichkeit getan.
[...]
Sprecher:
Es regnet Lametta und echtes Geld.
Tahsin:
Viele Gäste werfen Geld, während man tanzt. Das bedeutet, dass man gut aussieht und dass man weiter tanzen soll. Auch für die Musiker werden Scheine geworfen, überall gibt es Geld.
Sprecher:
Am Rande des Festplatzes hat die Familie einen Thron aufgebaut, hier werden die Geschenke überreicht.
[...]
Tahsin:
Wir bekommen meist kleine Goldmünzen geschenkt oder Geldscheine werden uns an einen Schal geheftet. Manchmal 30er, 40er, ab und zu sogar 100er Scheine. Später muss man den Leuten bei der Beschneidungsfeier ihrer Söhne Schmuck oder Geld im gleichen Wert zurückschenken, so ist die Tradition.
[...]
Tahsin:
Ich fühle mich sehr gut, ich hab von ganz vielen Leuten etwas geschenkt bekommen. Ich bin immer noch richtig aufgeregt. Die Feier läuft prima, wir werden jetzt gleich weiter tanzen und noch ganz viel Spaß haben.
Und selbst wenn es ihm im Moment gut geht.
Wird KiKA Tahsin auch in 20 oder 30 Jahren wieder befragen? Dann nämlich, wenn die Operation selbst vielleicht fast vergessen sein wird, dafür aber die Auswirkungen auf seine Sexualität erst präsent werden. Wird KiKA sich auch dafür interessieren, falls Tahsin irgendwann erfahren sollte, dass ihm bis zu 70 % seiner sexuellen Empfindungsfähigkeit auf dem heimischen Wohnzimmertisch weggeschnitten wurde?
Falls er irgendwann erkennen sollte, dass ihm weder Vater, noch Mutter, noch die beiden "Männer aus der Gemeinde" auch nur ein Sterbenswörtchen darüber gesagt haben, dass es Männer gibt, die später an den Folgen einer Vorhautamputation leiden? Wenn ihm klar wird, dass es diese Menschen, denen er völlig vertraute, nur einen Klick im Internet gekostet hätte, um von diesen möglichen negativen Folgen zu erfahren und die einzig mögliche Konsequenz daraus zu ziehen, ihn und seinen Bruder davor zu beschützen?
Falls er sich belogen und betrogen vorkommen sollte, unvollständig oder entblöst und verstümmelt? Falls ihm Masturbation oder die Narben Schmerzen bereiten? Wer wird ihm dann zuhören?
Sein Vater etwa, der so froh und stolz über die Vorhautamputation seiner Söhne war und darüber, dass sie für ihn ihre Ängste unterdrückten? Die Kumpels, die Tahsin wegen seines noch intakten Penis gehänselt hatten? Wird sich KiKA auch dann noch für diesen Menschen interessieren und ihm und seinem Erleben eine Stimme verleihen?
Wahrscheinlich wird Tahsin niemand zuhören. Wie eben auch den meisten negativ betroffenen Männern niemand zuhört.
Nach der Operation, nach der großen Party mit Geschenken und Geld beginnt das große SCHWEIGEN.
Vielleicht fühlt sich Tahsin dann auch als Versager. Weil er die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen konnte: froh und dankbar zu sein, dass man ihm einen Teil seines Körpers entfernt hat, der nur ihm gehörte. Weil er es einfach nicht schafft, so zu sein, wie alle anderen. Woher soll er denn auch wissen, dass noch so viele andere schweigen?
Wer wird schon das zu hinterfragen wagen, was einen zum Mann gemacht hat. Schließlich möchte man ein Mann bleiben.
Der KiKA erleichtert durch den einseitig manipulativen Charakter des Films auch Eltern in Deutschland, Vorhautamputationen sich selbst schönzureden und hilflose Jungen dafür gefügig zu machen. KiKA macht sich mitschuldig an den entstehenden körperlichen und seelischen Schäden.
Denn das Fazit, das der Film vermittelt, lässt sich folgendermaßen
zusammenfassen: Eine Beschneidung tut kaum weh, kann unkompliziert im eigenen Wohnzimmer ausgeführt werden, danach gibt es eine schöne Feier und Anerkennung von Familie und Freunden, während man sich jetzt über die noch unbeschnittenen Außenseiter lustig machen kann.
Alles super also - solange man nur dem öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehen vertraut.